Jetzt sind es schon 80 Jahre! Würde es sich um ein Menschenleben handeln, wäre nun wohl bereits seit einiger Zeit eine ruhigere Gangart angesagt. Bei JuAr Basel ist das Gegenteil der Fall. Sie bleibt mit Achtzig am Puls der Jugend, reagiert schnell und unkompliziert auf die Anliegen und Bedürfnisse junger Menschen, bewältigt mit einem kleinen Führungsteam stetig wachsende Berge an Verwaltungs- und Finanzaufgaben, hält Schritt mit den technischen Entwicklungen unserer Zeit, hat starke Partner*innen und Unterstützende an ihrer Seite, institutionelle, staatliche, politische. Generationen von Jugendarbeitenden, Stabsmitarbeitenden und Vorstandsmitgliedern haben am Schicksal unserer Organisation gewebt und gewirkt. Der 80. Geburtstag ist kein «echtes» Jubiläum, wohl aber ein Moment, innezuhalten, sich zu erinnern. Deshalb dieser Sondernewsletter, der einige Schlaglichter auf die Vergangenheit (und die Gegenwart) werfen wird.
Beste Frühlingsgrüsse
One Love,
Christian Platz, Präsident JuAr Basel
Ja, ein Buch könnte man problemlos schreiben, einen dicken Wälzer, zu diesem runden Geburtstag unserer Organisation, ob das jemand lesen würde, bleibt dahingestellt. Immerhin muss es – auch in der Zeit der digitalen Publikationen – für einen gar nicht so kurzen, aber nichtsdestotrotz rasenden, geschichtlichen Abriss auf digitaler Grundlage reichen, eine Art Festschrift. Aus dem historischen Schatten des Zweiten Weltkriegs, durch die Explosion der Jugendkulturen und des Selbstbewusstseins der Jugend, hin zum gegenwärtigen Digital-Zeitalter, in der die ganze grosse Welt für uns alle auf einen Handybildschirm zusammenzuschrumpfen scheint – entlang dieser Leitplanken kann man die Historie der BFA/JuAr Basel aufrollen. Die Schärkräfte der Geschichte haben natürlich auch die Jugendarbeit in Basel geformt, stetig und unwiderstehlich.
Gründung während der furchtbarsten Phase des zweiten Weltkriegs
Denn die Jugendarbeit Basel (JuAr Basel), einst Basler Freizeitaktion (BFA genannt), ist eine ganz andere Art von Organismus als ein biologischer Körper. Eine seit acht Jahrzehnten hervorragend vernetzte Organisation nämlich, die auf der Grundlage eines Vereins steht sowie für qualitativ hochstehende Jugendarbeit, jeweils auf der Höhe – und mit dem Horizont ausgestattet – der Zeit. Seit sie 1942 gegründet wurde, inmitten der furchtbarsten Phase des Zweiten Weltkriegs, in einer Atmosphäre gesellschaftlicher Verunsicherung und Niedergeschlagenheit.
Dunkle Wolken drohten damals am Himmel über Europa, seit drei Jahren schon, Ungewissheit lag wie ein drückender Schatten über der Gesellschaft. Nachrichten verbreiteten sich langsamer als heute, viele Leute verfügten nicht einmal über ein Radio – obwohl das Radio das aufkommende Medium jener Zeit war –, Gerüchte und Interpretationen verbreiteten sich. Immer wieder hiess es in der Grenzstadt Basel: «Nächste Woche, übermorgen, morgen überrollt uns die Wehrmacht.»
Manchmal heulten die Sirenen, dann harrten die Menschen bis zur Entwarnung im Keller aus, mit Kindern, Hunden, Katzen. Sie wussten aus der Zeitung, was in England geschehen war. Es könnte jederzeit auch in Basel passieren. Die Männer waren im Aktivdienst, die Lebensmittel rationiert, das Vergnügen war dünn gesät. Dass die Schweiz am Ende verschont bleiben würde, wusste ja niemand.
Dieser fatale Reigen der Jetztzeit
Und nun, 80 Jahre später, wüten wieder furchtbare Kriegsstürme über Europa, medial im Minutentakt dokumentiert, mit apokalyptischen Untertönen garniert, wie kurz vorher die Corona-Pandemie, von einer permanenten Meinungs- und Analysenflut auf dem Internet begleitet, die derart ausgedehnt ist, derart von Propaganda und wilden Theorien durchsetzt, dass es zu unzähligen Gerüchten und Interpretationen kommt. Wie damals im ‘42, nur dass sie heute durch eine Übermenge und nicht durch einen Mangel an Informationen verursacht werden.
Einst wie heute ist es für einzelne Menschen schwer, sich über die rollenden Ereignisse, den fatalen Reigen der Realität, der sich in der Jetztzeit entfaltet, ein angemessenes Urteil zu bilden. Unsicherheit gilt es auszuhalten. Und das spüren natürlich gerade die jungen Menschen, die unsere Angebote nutzen. Diese Verunsicherung, dieses Knirschen einer Welt, die aus den Fugen zu geraten droht, betrifft in besonderem Mass sie und ihre Zukunft.
Unsere Mitarbeitenden teilen und reflektieren diese Gefühle mit den Jugendlichen.
Wir können uns nur mit einer gewissen Unschärfe vorstellen, wie die Jugendarbeit in der ersten Hälfte der 1940er Jahre ausgesehen hat. Dass die Jugendarbeitenden auch damals mit den Nutzern*innen der Angebote redeten, zuhörten und diskutierten, ist gewiss. Wenn wir nur in so ein Gespräch reinhören könnten (alleine schon wegen dem damaligen Dialekt, dem Klang, den Modeausdrücken würde es sich lohnen).
Die Sorge um die unorganisierte Arbeiterjugend
Vor dem historischen Hintergrund des Zweiten Grossen Kriegs kommt es im April 1942 in Basel-Stadt also zu einer ersten Zusammenkunft in Sachen Jugendarbeit: Erwachsene «Jugendfreunde» treffen Vertreter*innen (da waren allerdings wenige Frauen dabei) der Basler Jugendorganisationen aus allen politischen und konfessionellen Richtungen. Am 12. Oktober wird die BFA offiziell aus der Taufe gehoben. Gewählt werden: ein Vorstand (viele Jahre lang ausschliesslich Männer) als Exekutive sowie eine Jugenddelegiertenversammlung als Legislative.
An dieser Stelle zitiere ich nun aus einigen Abschnitten der BFA-Chronik, die Timm Eugster, Wissenschaftler und Journalist, 2002 verfasst hat. 2017 gab es eine Neuauflage, redaktionell bearbeitet und ergänzt von JuAr Basel-Geschäftsführer Albrecht Schönbucher und meiner Wenigkeit. Dies ist weiter gratis erhältlich auf unserer Geschäftsstelle. Hervorragend hat Eugster Vorgänge und Hintergedanken der frühen Jahre unserer Organisation beschrieben:
(…) Die Gründerväter der BFA sind junge Sozialdemokraten wie der spätere Bundesrat Hans-Peter Tschudi, Freisinnige wie der spätere Regierungsrat Alfred Schaller, sozialliberale Landesring-Mitglieder und spätere Exponenten der kommunistischen PdA. Diese in der «Aktionsgemeinschaft der jungen Generation» zusammengeschlossenen jungen Politiker ziehen aber auch rechtskonservative Kreise wie den «Verband Chemischer Industrieller» von Anfang an mit ein. Die Gründung der BFA ist nur möglich dank einem sozialreformerischen Aufbruch, der mitten im Krieg Brückenschläge ermöglicht zwischen den ehemals tief verfeindeten Lagern des Bürgertums, der linken Arbeiterschaft und – wenn auch zögerlich – der Katholiken. (…) Gemeinsam ist ihnen jedoch die Sorge um die unorga- nisierte Arbeiterjugend. Konsens herrscht auch über die prinzipielle Gefährlichkeit der Freizeit, wenn diese nicht mit «jugendgemässen» Aktivitäten durchorganisiert ist. (…)
Explosion der Jugendkulturen, erwachendes Selbstbewusstsein der Jungen
Am Anfang der Jugendarbeit standen Webstuben und Nähkurse für junge Frauen, begleitete Ausflüge – etwa Schifffahrten auf dem Vierwaldstättersee oder Skitage – für Jugendliche, «Radiobasteln» für junge Männer. Ausserdem gehörten billige Abos für Gartenbäder und Museen, Gymnastikstunden für Mädchen, Briefmarkenbörsen, in den frühen Jahren zu den Angeboten der BFA, in den 1950er Jahren kamen Auslandreisen dazu, die ersten führten nach Skandinavien. Die Organisation führte zudem Werkstätten, etwa im Klybeck und im Rheinschulhaus. Viele der ehrenamtlichen Leiter dieser Angebote gaben im Jahr 1945 an, dass sie stark gefordert seien, der Umgang mit der teils «rüden und unbesonnenen Jugend» setze ihnen zu. Dies nur ein Detail am Rande.
Der Krieg endete, die Jugend konnte die Welt entdecken. Beim «Radiobasteln» wurden Frequenzbänder erweitert. US-amerikanische Soldatensender schenkten der Jugend neue Klänge, die sie begeisterten, Jazz zunächst und Rhythm&Blues – und ab Mitte der 1950er Jahre den Rock’n’Roll. Zu dieser Musikwelle gehörten Lebensstile, sie repräsentierte eine neue Art, die Welt zu sehen, sie schleppte die Literatur der Autoren der Lost Generation, jene der Beatniks, die Inhalte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung nach Europa – und dann folgten die Strassenrebellion der Halbstarken, die Hippies, die Freaks, die Drogen.
Plötzlich eroberte sich die Jugend neue Territorien der Identität. Dispute über Sex, Religion, Politik, Gerechtigkeit, geschlechtliche Identität, Frauenrechte, Homosexualität, Rassismus in einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft, das Erproben neuer Lebens- und Ausdrucksformen, weit jenseits der Vorstellungen der damaligen Erwachsenenwelt, rückten plötzlich drängend auf den Plan der Jungen.
Die Rebellion der Lebensstile begann in kleinen Kreisen Jugendlicher und junger Erwachsener – und wurde dann innert 20 Jahren zum Massenphänomen: 1957 schüttelt Elvis Presley den Globus durch, 1963 setzen die Beatles zur Eroberung der Welt an, 1968 ziehen die Hippies und Freaks rebellierend durch die Städte, zehn Jahre später kommt der Punk Rock, mit ihm erneute Strassenkrawalle und die Sehnsucht nach autonomen Jugendräumen. Alles immer zum laustarken Entsetzen der jeweiligen Erwachsenenwelt und einer grösstenteils feindseligen Medienlandschaft, die hinter jeder neuen jugendkulturellen Ausformung wie auf Kommando das Schlimmste ahnt. Ganz im Gegensatz zu heute, wo jeder neue Minitrend sofort seine Runde durch die Medien dreht, haben die Feuilletons der grossen Schweizer Zeitungen die Rockmusik bis weit in die 1980er Jahre hinein verachtungsvoll und spöttisch ausgegrenzt.
Und heute wollen alle für immer jung sein
Es folgt ein Trend hin zu einer Diversifizierung der Jugendkulturen: HipHop taucht auf und dominiert die Popmusik bis heute, weltweit, Rock und Heavy Metal haben sich in viele unterschiedliche Richtungen aufgesplittert, scheinen jedoch unzerstörbar zu sein, elektronische Tanzmusik regiert die Party-Szene auf dem blauen Planeten, Jazz hat sich akademisiert und ist an die Seite der so genannten E-Musik getreten. Es gibt nun aber auch Mischungen zwischen allen Genres, die noch in den 1990er Jahren undenkbar gewesen wären. Dieser ganze Prozess, begleitet von Drogen, spirituellen Experimenten, ideologischen Grabenkämpfen, echten Erkenntnisprozessen, grandiosem Kunstschaffen in allen Genres und politischen Veränderungen verändert die Stellung der Jugend und der Jugendarbeit in der Gesellschaft enorm.
Zwischen 1950 und 1980 sind Jugendliche von jenen, die sich «erst mal beweisen müssen», langsam zum Ideal der Gesellschaft geworden, gleichzeitig zu einem wesentlichen und umschwärmten Kundensegment für unzählige Märkte und Produkte. Die weisen Alten hatten ausgedient, die inspirierten Jungen übernahmen den Lead.
Ja, und heute? Da wollen sowieso alle für immer jung sein, die ganze Gesellschaft drängt sich auf den Territorien, die Jugendliche einst für sich erobert hatten. Und die populärsten Inhalte der Jugendkultur werden von Grosskonzernen produziert, die schon lange gelernt haben, dass man «hip» und «cool» einkaufen und zu harten Moneten machen kann.
Kaum erhebt sich im «Underground» eine vermarktungsträchtige Stimme, wird sie zu einer stromlinienförmigen Geldmaschine umfunktioniert. Inhalt egal. Keine moralische Auseinandersetzung mehr nötig. Der Profit heiligt die Mittel. Die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Popkultur hat sich erschöpft, sie ist zu einem Begleitphänomen des Mainstreams geworden, zusammen mit Tätowierungen, Pornographie oder Esoterik. Im Jahr 2022 sind alle nur vorstellbaren Inhalte immer und überall erhältlich, solange man über Smartphone und Internetverbindung verfügt. Der Handybildschirm ist zum geistigen Horizont unserer gegenwärtigen Gesellschaft geworden.
Zwischen gesellschaftlicher Ablehnung und Akzeptanz
All diese Entwicklungen, im baselstädtischen Format, haben den Weg der BFA/JuAr Basel beeinflusst. Manchmal hat die Organisation dabei den Widerstand der Erwachsenenwelt unterstrichen, indem sie zum Beispiel die Plattenspieler aus ihren Angeboten entfernte, weil die Jugendlichen sonst stundenlang die gleichen «billigen Twist-Schlager» hören würden. Dann hat sie wieder als Komplizin und Wegbereiterin junger Ideen gewirkt. Die Idee eines Jugendhauses im heutigen Sinne war – beispielweise– an sich schon ein hochumstrittenes Politikum. Konservative Kräfte malten sich und der Öffentlichkeit Sodom und Gomorrha-Szenarien aus, die sich in einer derartigen Einrichtung ganz gewiss zutragen würden.
Erst 20 Jahre nach ihrer Gründung konnte die BFA ihr erstes Jugendzentrum, das Sommercasino, gesellschaftlich durchsetzen und einweihen. Zur Eröffnung gab es keinen Rock-Sound sondern ein Blockflötenorchester und eine Dixieland-Combo, damals etwa das Müdeste, was man den Jungen vorsetzen konnte. Gleichzeitig hatte man mit der Eröffnung eben einen jugendpolitischen Kampf gewonnen.
In diesem Spannungsfeld, zwischen der Idee, die Interessen Jugendlicher «in Bahnen lenken» zu wollen und der anwaltschaftlichen Vertretung echter, professionell eruierter Anliegen junger Menschen, hat sich langsam die moderne Offene Jugendarbeit geformt, wie sie JuAr Basel heute in allen ihren Angeboten betreibt. Zwischen gesellschaftlicher Ablehnung und Akzeptanz, zwischen den Fronten kultureller und ideologischer Kämpfe, zwischen mutigen Experimenten und plötzlich auftauchenden Repressionen, wurde die Professionalität der Jugendarbeit gehärtet, in jener Werkstatt der Geschichte, wo die heissesten Schmiedefeuer glühen. Die Versammlungen der AJZ-Bewegung hatten 1980 noch keinen Platz im Sommercasino (obwohl das im Haus produzierte Heftli «Lies Emool» permanent frech mit der jungen Autonomen-Bewegung sympathisierte). Wenn sie jedoch real auftauchte, wurde die Polizei geholt. Als Jahre später die HipHop-Bewegung aufkam, reagierte die Jugendarbeit bereits viel offener, stellte Plattformen zur Verfügung. Heute begegnen Jugendarbeitende neuen kulturellen Phänomen, die ihre Kundschaft begeistern, mit wacher, aber auch kritischer Neugier und betrachten sie als ihr – ernst zu nehmendes – Arbeitsmaterial.
Die Jugendarbeitenden selbst haben sich von ehrenamtlichen Leuten, die einst aus allen Himmelsrichtungen zur Organisation gestossen waren, zu gut-ausgebildeten Profis entwickelt, aus Aktionen von «Jugendfreunden» ist ein professionelles Arbeitsmetier, aus «Freizeitaktion» ist «Offene Jugendarbeit» geworden, ein reflektiertes, spezifisches, anspruchsvolles Berufsfeld, das von Öffentlichkeit und Politik ernst genommen wird. 2012 schliesslich trug die Organisation dieser Entwicklung Rechnung und nennt sich seither angemessener Jugendarbeit Basel – oder kurz: JuAr Basel.
Merci – Muchas Gracias – Thank you – Dankeschön – Çok teşekkürler
Ich möchte allen, die in den letzten acht Jahrzehnten für die BFA und JuAr Basel gearbeitet haben, meinen Dank, Respekt und meine tiefempfundene Hochachtung aussprechen, ohne Euch (ich verwende die vertrauliche Du-Form, weil ich mich all’ diesen Menschen anlässlich eines runden Geburtstags unserer Organisation besonders nahe fühle) wäre das alles nichts geworden! Allen die uns unterstützt und gefördert, allen, die geholfen haben, mit Rat und Tat, Mitteln und Material, Stiftungen, Partnerorganisationen – und vor allem der Stadt Basel, meiner Heimatstadt – bin ich von Herzen dankbar. Eine Organisation kann nur so gut wie ihre Mitarbeitenden, ihr Netzwerk und ihr Umfeld sein. JuAr Basel kann sich glücklich schätzen, dass sie in allen drei Bereichen auf die besten Kräfte bauen darf.