JuAr Basel Herbst-Newsletter 2022

Liebe Leserinnen und Leser
Liebe Freundinnen und Freunde von JuAr Basel
Liebe Alle

«Den Fortschritt verdanken die Menschen den Unzufriedenen.»
Aldous Huxley (1894 – 1963)

Wir alle hoffen diesen Herbst auf einen milden Winter, auf der realen und auf der metaphorischen Ebene. Wir Heutigen, egal welcher Altersgruppe wir angehören, sind vom Regen in die Traufe gekommen. Der erste tiefe Taucher war die Corona-Pandemie – und nun haben wir einen furchtbaren Krieg in Europa, der auf die Energie-Ressourcen und auf den Finanzmarkt drückt. Werden wir Stromausfälle, Heizungsausfälle haben? Werden die Energiekosten kleine Geschäfte und Privathaushalte massiv drücken? Werden die Lebenskosten in ungeahnte Höhen steigen? Letztlich wissen wir es nicht. Die schnellen, klick-gesteuerten Medien unserer Zeit bereiten uns ein Wechselbad aus panischen und gemässigt-hoffnungsvollen Informationen und Botschaften. Doch auf dem überquellenden, überhitzten Meinungsmarkt unseres digitalen Kommunikationszeitalters triumphiert heisse Panik bedauerlicherweise immer gegen kühle sachliche Vernunft.

Wegen der Energie-Ressourcen hoffen wir auf einen milden Winter…

… doch wir von JuAr Basel hoffen auch, dass die schwerwiegenden wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit nicht jene Budgets einfrieren, die unser Gemeinwesen, einem Bundesgesetz folgend, für unsere Offene Jugendarbeit zur Verfügung stellt. Denn man muss schon sagen, die JuAr Basel nützt ihre Mittel optimal aus, sie wird ja von staatlicher Seite aus auch intensiv kontrolliert und analysiert, JuAr Basel ist personell und materiell alles andere als luxuriös ausgestattet, fängt soziale Probleme auf, für die sonst niemand zuständig ist und bietet vielen Jugendlichen eine zweite Heimat. Diese Aufgaben vollbringen unsere hochgradig engagierten Mitarbeitenden zu einem weitaus geringeren Preis, als dies staatliche Organisationen jemals könnten.

Wie Sie in diesem Newsletter lesen werden, tickt im Bauch unseres Schiffs eine Zeitbombe, durch die zunehmende Teuerung, wir sind hier in eine Klemme zwischen zwei Verordnungen gefallen, die unsere Organisation in ganz kaltes Wasser werfen könnte. Wir werden notfalls allerdings auch diese Herausforderung annehmen – und versuchen, das Beste daraus machen. Wir hoffen dabei einfach auf ein wenig warmen Wind aus Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit, auf einen milden Winter.

Auf schönes Herbstwetter hoffen wir, weil unser Ferienpass zum zweiten Mal einen Piloten steigen lässt: Den Herbstferienpass sozusagen. Lesen Sie die Hintergründe in diesem Newsletter. Dem Jugendzentrum Eglisee wünschen wir im Dezember milde Wintertage, für die Anlässe zur Feier seines vierzigsten Geburtstags nämlich, dazu finden Sie ebenfalls einen Beitrag. Auch Alain Schnetz, der bei JuAr Basel einst den Praxisteil seiner Ausbildung absolvierte und seinem Musikbüro, das er heute leitet, wünschen wir alles Gute, er hat sich für diesen Newsletter von uns porträtieren lassen.

Ich wünsche Ihnen also allen einen frohen Herbst und – eben – einen milden Winter.

Herzlich

One Love

Christian Platz, Präsident JuAr Basel

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Schlechte Nachrichten: Wenn die Inflation bleibt, steckt JuAr Basel in der Klemme

Symbolbild

Das Problem steckt im Paragraf 12 des Basler Staatsbeitragsgesetzes von 2011. Dieser regelt den Teuerungsausgleich für staatlich unterstützte Organisationen wie JuAr Basel. Der Paragraf besagt, dass die Teuerung nur bei Organisationen erstattet wird, deren Personalkosten über 70 Prozent betragen. Bei JuAr Basel liegen sie leicht darunter, nur um wenige Prozente. Dies hat bisher keine Rolle gespielt. Doch wenn die Teuerung sich weiterhin nach oben bewegt, würde dies für unsere Offene Jugendarbeit in Basel-Stadt massive Einschnitte mit sich bringen, personell, räumlich, von den Öffnungszeiten her. Im schlimmsten Fall müssten wir Mitarbeitende entlassen, Angebote schliessen oder massiv einschränken. Das kann doch wohl niemand ernsthaft wollen oder gut finden.

«We’re caught in a trap/I can’t walk out»
Elvis Presley, Mark James «Suspicious Minds», 1969

Grosse Unterstützung

Wir suchen nun schon seit Jahren eine feste Bleibe für unser Jugendzentrum Chillout, Heimat der bekannten und innovativen Internet-Show #jugendlivetalk, in Kleinhüningen. Nach einer gloriosen – aber kurzen – Startphase in einem geeigneten Domizil, muss das Angebot nun von Provisorium zu Provisorium wandern. Doch wir spüren die Unterstützung unserer staatlichen Partner vom Erziehungsdepartement in dieser Sache, den Willen, im nördlichen Kleinbasel ein zweites Angebot für Jugendliche zu ermöglichen. Grosse Unterstützung vom Amt erhielten wir auch bei der Suche nach einem Ersatz für das Jugendzentrum Bachgraben, das nun von einer Baracke in ein geräumiges Gebäude umziehen konnte. Eine tolle Sache. Offensichtlich ist das Gedeihen der Offenen Jugendarbeit à la JuAr Basel von unseren staatlichen Auftraggebern gewollt, was uns natürlich freut, da spüren wir Wind unter den Flügeln.

Werden wir nun sehenden Auges abgehängt?

Doch leider ist unsere Personal- und Lohnsituation alles andere als befriedigend. Zuerst einmal haben unsere Leute deutlich tiefere Löhne als vergleichbare Mitarbeitende staatlicher Stellen. Wir sind hier bald nicht mehr konkurrenzfähig. Dabei brauchen auch wir in unseren Teams qualifizierte Fachleute, die als Vertrauenspersonen der Jugendlichen agieren, professionell mit Themen wie «Nähe und Distanz» umgehen können, die Bedürfnisse der Jugendlichen wirklich ermitteln, solide Projekte aufziehen, bei Problemen angemessen beraten und eingreifen. Dazu kommt, dass zwei feste Team-Stellen in Teilzeit plus eine Praktikantenstelle für unsere grossen Häuser (wie beispielsweise Purple Park oder Bachgraben) nicht gerade eine luxuriöse Besetzung darstellen. Zwei Team-Mitglieder mehr könnten Angebote mit hohem Publikumsandrang – und dem wiederholten Ruf, auch von staatlicher Seite, nach ausgedehnteren Öffnungszeiten und vor allem nach mehr Angeboten am Wochenende – gut vertragen. Doch wenn nun die Teuerung steigt, steht die JuAr finanziell vor sehr grossen, dringlichen Herausforderungen. Wir hoffen inständig, dass uns die Stadt Basel nicht sehenden Auges in diese tiefe Krise stürzen lässt. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Es gibt hier keine Schuldigen

Um es gleich vorwegzunehmen: es gibt in dieser Sache keine Schuldigen, wir sind hier von einer Verordnung in einer Art betroffen, die für uns eine massive Klemme darstellt. Wir können uns nicht vorstellen, dass es so gewollt war. Früher stand in unseren Verträgen mit der Stadt ganz einfach, dass uns die Liegenschaften zu Verfügung gestellt werden. Seit Einführung des neuen Staatsbeitragsgesetzes müssen die Mieten aber in unser Budget einfliessen, werden dort wirksam und treiben die Sachkosten hoch, obwohl es schlussendlich ein Nullsummenspiel ist. Ein Problem, das beispielsweise die Mobile Jugendarbeit nicht hat, weil ja dort keine hohen Raumkosten anfallen. Selbst unsere eigene Jugendberatung, die ja nur zwei Büros benötigt, hat Personalkosten von 80 Prozent, die Teuerung wird dort von der Jugendhilfe des Erziehungsdepartements ausgeglichen. Aber eben, bei der Offenen Jugendarbeit treiben die Raummieten für die Jugendzentren die Sachkosten im Budget massiv hoch, was wiederum den Anteil der Personalkosten drückt. Und deshalb kommen wir inzwischen auf Personalkosten von leicht unter 70 Prozent, sie bewegten sich in den letzten Jahren zwischen 67 und 69 Prozent. Wir wissen nicht, wie die Grenze von 70 Prozent im Basler Staatsbeitragsgesetzes von 2011 zustande gekommen ist. Woher kam die Prozentzahl? Was war die Logik dahinter? Aber egal, wie die Antworten auf diese Fragen lauten …

Hoffentlich schellt bald der Wecker

… für uns hätte die Nicht-Erstattung des Teuerungsausgleichs fatale Folgen. Bereits drei Prozent Teuerung würden uns im Jahr 100’000 Franken kosten – und damit hätten wir noch keinen einzigen Lohn erhöht. Bei unserem jetzigen Budget müssten wir also jedes Jahr 100 Stellenprozente opfern oder Angebote schliessen, dass wir schon nur die Teuerung ausgleichen könnten. Das darf doch nicht wahr sein. Irgendwie haben wir das Gefühl, dass die Gesetzgeber sich bei der Formulierung des Paragrafen 12 ihrer Sache auch nicht so sicher waren. Im Gesetzestext stehen vor diesen ominösen 70 Prozent nämlich noch drei kleine, aber signifikante Worte: «…in der Regel…», es könnten ja sein, dass JuAr Basel bei dieser Regel eine Ausnahme darstellt. Wir werden mit unseren Partnern vom Erziehungsdepartement sicher in Diskussion gehen– um weiterhin eine qualifizierte Arbeit, ohne Abbau leisten zu können. Wir stehen vor einem Albtraumszenario – und warten auf den Wecker.

Symbolbild

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Ferienpass, auch in den Herbstferien
Ein bewährtes Erfolgsmodell expandiert, auf Kundenwunsch

Workshop Ferienpass

Der Ferienpass hat in seiner langen Geschichte viele Höhen und Tiefen durchgemacht. Es gab ja eine Phase, in der das Angebot Dreiland-Ferienpass hiess und regional aufgestellt war. Als dieses 2010 zu Ende ging, mangels Engagements der Partnerländer, der Zusatz «Dreiland» gestrichen werden musste, die Stellenprozente heruntergefahren wurden, sah es alles andere als rosig aus. In den letzten Jahren hat dieses Modell, das bei der JuAr Basel/BFA ja in einer jahrzehntelangen Tradition steht, jedoch gezeigt, wie robust es ist. Der Ferienpass präsentiert sich heute als enorm erfolgreiches Angebot, das dieses Jahr zum zweiten Mal in die Herbstferien expandiert.

Die starken Schultern der Mary Born

Im Wesentlichen ist es eine Person, der dieser grosse Erfolg des Angebots zu verdanken ist – und auf deren starken Schultern die ganze inhaltliche Konzeption und Organisation des Ferienpasses liegt: Mary Born. Systematisch, methodisch, engagiert arbeitend, immer ganz nahe an der Kundschaft, hat sie neue Angebote entwickelt. Dabei sind – nebst den traditionellen Vergünstigungen – vor allem die exklusiven Kreativangebote des Passes bei Kindern und Eltern überaus beliebt, bei denen die jungen Teilnehmenden sich aktiv mit Themen beschäftigen können, etwa im Zauberkurs, im Hörspiel-Workshop oder auf dem Lama-Trek. Im Sommer 2021 haben 118 dieser tollen, kinderfreundlichen Workshops stattgefunden. Überhaupt hat der Ferienpass 2021 wieder ein Rekordjahr hingelegt. Noch nie in seiner Geschichte haben so viele Kinder an den Angeboten teilgenommen. Auch in diesem Jahr ist die Nachfrage wiederum sehr hoch, 122 unterschiedliche Kreativangebote haben im Sommer stattgefunden. Und auch für den Herbst sind schon 32 ausgeschrieben.

Beratung, Betreuung, Befragung

Mary hat auch den Kundenservice ausgebaut – und die Nähe des Angebots zum Publikum intensiviert. Beratung, Betreuung und Befragung der Kids und ihrer Eltern werden beim Ferienpass ganz grossgeschrieben. Und stellen eine massive Arbeitslawine dar. Vieles wurde zwar geschickt und kundenfreundlich digitalisiert. Aber der Bedarf nach direkter Information ist mit einer derart heterogenen Kundschaft, die ganz unterschiedliche kulturelle Hintergründe, Sprachen, Bedürfnisse aufweist, natürlich klar gegeben. Der Ferienpass ist ein sehr grosser organisatorischer und koordinatorischer Brocken, die inhaltliche Qualität muss stimmen – und falls etwas Unvorhergesehenes passiert, muss immer jemand erreichbar sein.

Starke Elemente der Prävention

Mary Born erklärt: «Es gibt noch ein weiteres wichtiges Element; der Ferienpass bringt ganz verschiedene Jugendliche zusammen, aus ganzen unterschiedlichen sozialen Verhältnissen und Lebensrealitäten. Das ist wirklich eine enorme Bandbreite. Kinder deren Familien flüchten mussten, treffen hier fröhlich und friedlich mit Kindern zusammen, die aus behüteten Verhältnissen kommen – dank der tiefen Preise können alle teilhaben.» Deshalb enthält der Ferienpass eben auch starke Elemente der Prävention. Letztes Jahr stach bei der Kundebefragung ein Kundenwunsch deutlich heraus. Die Kinder und ihre Eltern wünschten sich zusätzlich ein Angebot für die Herbstferien. JuAr Basel hat das angeschaut, gesehen, dass der finanzielle Aufwand tragbar ist – und im Herbst 2021 einen überaus erfolgreichen Pilotdurchlauf gewagt, mit 39 Kreativangeboten. Und diesen Herbst geht es weiter.

Hohe Anforderungen, knappe Ressourcen

Elsbeth Meier ist als Geschäftsführerin von JuAr Basel für den Ferienpass zuständig, sie hat an den tollen Entwicklungen der letzten Jahre natürlich Anteil und grosse Freude, gleichzeitig machen ihr die knappen Team-Ressourcen aber auch Sorgen: «Dieses Angebot ist stehts in Bewegung, verlangt vom Team Sonderleistungen und starken Einsatz. Den Herbst-Ferienpass ziehen wir nun noch einmal durch, um zu sehen, ob er auch ohne den Corona-Kontext so erfolgreich funktioniert. Was mir Sorgen bereitet, ist die Personalsituation. Wir haben für das Angebot gerade Mal 60 Stellenprozente zur Verfügung, dazu gibt es noch Hilfen im Stundenlohn. Mary wird, wie wir alle, auch nicht jünger – und falls sie mal ausfällt, sind wir sofort am Anschlag. Doch die Stellenprozente reichen nicht aus, um jemanden richtig einzuarbeiten. Der Ferienpass ist nicht vollfinanziert und fährt mit äusserst knappen Mitteln. Die Angebote müssen eine hohe Qualität aufweisen, man kann keinesfalls jedes Jahr das gleiche Programm abspulen – und alle Anspruchsgruppen, viele Sprachen und kulturelle Eigenheiten müssen begleitet werden. Das sind schon happige Anforderungen. Deshalb werden wir im nächsten Finanzgesuch von JuAr Basel an das Erziehungsdepartement um eine minimale Erhöhung der Stellenprozente bitten.»

Workshop Ferienpass Ergebnis

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Jugendzentrum Eglisee: 40 Jahre Jugendarbeit am Stadtrand

Alrecht Schönbucher, heute JuAr Basel-Geschäftsführer, hinter der Theke der Eglisee-Baracke. 1993.

1982 war Ronald Reagen Präsident der USA, Margareth Thatcher führte als Premierministerin Gross-Britanniens Krieg um die argentinischen Falklandinseln – und in der Schweizer Hitparade waren beispielsweise Songs wie «Skandal im Sperrbezirk» von der Spider Murphy Gang, «Da Da Da» von Trio und die australische Fernwehhymne (im blütenweiss glatt-gebügelten New-Wave-Reggae-Stil jener Zeit gehalten) «Down Under» von Men at Work zu hören. In diesem Jahr gründete die Basler Freizeitaktion (BFA), die heute JuAr Basel heisst, das Jugendhaus Eglisee.

Es braute sich etwas zusammen

Im Basler Underground braute sich in den frühen 1980er Jahren einiges zusammen, nach dem verlorenen Kampf ums AJZ kam es zu einer Atempause, die der jungen Musikszene Zeit gab, sich auf neue musikalische Abenteuer einzulassen. Viele der Protagonistinnen und Protagonisten jener Musik-, Kultur- und Politszene, die dann ab Mitte der 80er Jahre in der Alten Stadtgärtnerei ihr Haupt erheben sollten, lebten damals in unzähligen Wohngemeinschaften, tüftelten in Probekellern an neuen Tönen, arbeiteten in Ateliers an frischen künstlerischen Ausdruckweisen. Die Alte Stadtgärtnerei war Katalysator dieser jungen Kulturbeiträge, ihre Geschichte endete, genauso wie vorher das AJZ, in einem stadt- und kulturpolitischen Trauerspiel, eine vergebende Chance.

Ein wilder neuer Stil

Gleichzeitig drängte sich ein neues mächtiges Genre aus den USA ins öffentliche Bewusstsein, das nicht einfach ein Trend war, sondern sich zur dominierenden Popmusik auf unserem Planeten entwickeln sollte: Hip-Hop. Der Film «Wild Stile» (1983), in dem sich die frische US-Szene dynamisch und explosiv manifestierte, bot Jugendlichen – gerade auch jungen Migrantinnen und Migranten – neue Klänge, Bilder, kulturelle Ankerpunkte, mit denen sie sich identifizieren konnten. Hip-Hop brachte, nebst einer neuen Ästhetik sowie aufregenden Graffitis, Sound- und-Reim-Beiträgen, auch ein anderes Phänomen mit sich: eine neue Generation von Strassengangs, die ihren historischen Vorgängern, den Halbstarken und den Rockern, zwar ähnelten, deren Mitglieder jedoch von komplett neuartigen kulturellen Impulsen beseelt waren.  

Wilder Stil, Hip-Hop-Emblem am Basler Stadtrand. 1994.

La Droga

Seelenlos war in jener Zeit der gesellschaftliche Umgang mit heroinsüchtigen Menschen, jung und alt, die Junkies waren eine Elendsarmee, stark kriminalisiert, zu einem Leben ganz am Rande der Gesellschaft verbannt, die auch in Basel zum Stadtbild gehörte. Ideen wie Opiatabgabe, Gassenzimmer, Entkriminalisierung waren erst in einigen vorwärtsdenkenden Köpfen vorhanden.

Am Rand der Langen Erlen

In diesem Umfeld wurde das Jugi Eglisee gegründet, am Rand der Langen Erlen, im Grenzland zwischen Basel-Stadt und der Gemeinde Riehen. Interessanterweise enthält das heutige Jugendzentrum Eglisee ein diskretes Mahnmal, das auf die urbanen Opiat-Elendsgestalten der 1980er verweist. Den Pavillon nämlich, der das Angebot enorm bereichert. Dieser Bau wurde JuAr Basel im Jahr 2018 geschenkt, ein Jahr später eingeweiht. Ursprünglich war er Bestandteil einer Installation vor dem Kunstmuseum, die an jenes traurige aber goldrichtige Gassenzimmer erinnerte, welches einst ebendort stand, in dem vor Jahrzehnten viele Junkies von einem mutigen, grossartigen Team die notwendigste Hilfe erhielten, am Rande der damaligen Gesetzespraxis. Ja, eine zweite Raumhülle, nach 36 Jahren Jugendarbeit in einer diminutiven, aber von den Teams immer optimal genutzten Baracke, das war ein grosser Schritt, seit langen Jahren herbeigesehnt. Elsbeth Meier Co-Geschäftsführerin der JuAr Basel und zuständig für diesen Jugendtreff betrieb ein grosses erfolgreiches Fundraising, um den Umbau und die nötigen Anpassungen des Pavillons an die Jugendarbeit zu ermöglichen. Zurzeit wirken Bastian Bugnon, der nun schon seit vielen Jahren an Bord ist, Jennifer Küng und der Praktikant Linus Pedrojetta im Jugendzentrum.

Wertewelten, Kulturwelten

Es wird gesagt, dass eine Menschengeneration etwa 30 Jahre dauert, die Zeichenwelten, Wertwelten und Kulturwelten der Jugendlichen erneuern sich hingegen alle zehn Jahre. Das heisst nicht, dass es in der Kultur der Jungen keine wiederkehrenden Motive gibt. Seit das Internet zum Hauptlieferanten für Inhalte aller Art geworden ist sowieso: Menschheitsgeschichte, Kulturgeschichte in den höheren Registern, krude Verschwörungsgeschichten und beunruhigend gewalttätige Pornografie in den tiefsten – und alles dazwischen natürlich, tutti quanti gespeichert, in der digitalen Meta-Welt, per Klick sofort abrufbar. Da ergeben sich die seltsamsten Wiederentdeckungen und Stilmischungen. Das ist nun die grenzenlose digitale Postmoderne der Bilder, Klänge und kulturellen Codes: Remix der Historie des Menschengeschlechts. Da stehen wir heute, auch in der Alltagsrealität der Offenen Jugendarbeit.

Weltmüde, abgeklärt

1982 war das anders. Die Jugendlichen der 1980er Jahre gaben sich gerne welt-müde und abgeklärt. Langweile war ein grosses Thema, das weitgehende Fehlen von Angeboten, schlicht von Räumen, in denen junge Menschen ihre Kreativität ausprobieren und sich frei austauschen konnten, wurde von allen Szenen beklagt. Freaks und Punks und Kiffer, Teenagerschwangerschaften, Rock’n’Roll-Romantik und Strassenkinder, das war der Anfang. Dann kamen die Gangs verschiedener Migrantengruppen mit ihren unterschiedlichen Codes, Allianzen, Feindschaften. Das Jugi Eglisee war übrigens die erste Station der Karriere des heutigen JuAr Basel-CO -Geschäftsführers Albrecht Schönbucher bei unserer Organisation.

Zeitläufe

Vieles hat sich in den vier Jahrzehnten verändert, das Quartier, die soziale und kulturelle Mischung des Umfelds. Die Leute in der Baracke haben immer mit den sich wandelnden Zeitläufen gearbeitet. Währenddessen sind politische Systeme und Wertegebäude ins Wanken geraten und gefallen, neue gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten haben sich entwickelt, die Stellung der Jugend in der Gesellschaft hat einen Wandel durchschritten und die Geschlechterrollen haben sich aus Starre und von überkommenen Regulativen befreit. In diesem Zusammenhang rückte die Mädchenarbeit auf den Plan, bei deren Etablierung im Jugi Eglisee dessen ehemalige Leiterin, Barbara Lecko, eine wichtige Rolle spielte.

Kleine Piazza

September 2022, ein Mittwochnachmittag. Das Territorium des Jugendzentrums, mit Pavillon und Mutterbaracke, mit seiner kleinen Piazza, die ganz schnell vom Mini-Sportplatz zum gemütlichen Grill-Party-Setting umgestaltet werden kann, sieht heute stolzer aus denn je. Jahrzehntelang hat sich die Baracke etwas schüchtern in die Rabatten am Strassenrand geduckt, nun ist es eine kleine multifunktionale Anlage geworden, die vielleicht schon bald durch eine Rampe für Skater ergänzt wird. Das Team hat ein entsprechendes Projekt aufgezogen, zusammen mit den Profis von «Local Skateparks», die unter anderem auch im Jugendzentrum PurplePark von JuAr Basel gewirkt haben.

Minirampe

Bastian Bugnon: «Die Baubewilligung ist eingegeben, wir hoffen nun, dass die Rampe nächsten Frühling hier stehen wird». Jennifer Küng: «Während der Corona-Zeit hatten wir einige Skatende auf dem Gelände, wir haben dann mit ihnen zusammen provisorische Elemente gebaut, die Skater hätten natürlich gerne etwas Solideres. So kamen wir auf die Idee mit der Minirampe». Bastian Bugnon: «Das wäre nicht nur etwas für uns, sondern ein Plus für das ganze Quartier». Mitte November gibt es in dieser Sache eine Crowdfunding-Kampagne, mit hausgemachten Siebdruck-T-Shirts für grosszügige Spenderinnen und Spender.

Wenn die Girls aufdrehen

Es ist ein interessantes Quartier, das sich hier um das Jugendzentrum erstreckt, Jugendliche aus allen möglichen kulturellen und sozialen Schichten gehören zur Kundschaft dieses Angebots, für das die Schulen im Umfeld sehr dankbar sind. Gerade auch, weil es den wilderen Teenager-Jungs einen Ort bietet, wo sie rumhängen, chillen, herunterkommen können. Die Mädchenarbeit hingegen verlangt ständige Pflege. Jennifer Küng: «Es ist nicht einfach für Mädchen, sich im Offenen Treff gegen die lauten und dominanten Jungs zu behaupten. Deshalb muss man die Mädchengruppen besonders pflegen, wir haben dafür auch eine Whatsapp-Gruppe. Der Pavillon ist für Mädchengruppen gut geeignet, weil man mit Licht und Musik unterschiedliche Stimmungen schaffen kann, hier können sich Mädchengruppen wohlfühlen – es ist ja kaum zu glauben, wie die Girls aufdrehen können, wenn mal keine Boys dabei sind.»

`Cent anni

Diesen Frühling hatte das JZ Eglisee rekordverdächtige Besucherzahlen, die im Sommer, bei der grossen Hitze, gesunken sind. Solche Schwankungen sind allerdings normal. Heute Nachmittag sind gerade einige der Kids aus dem Schulheim an der Wenkenstrasse ins Jugi gekommen, sie sind im Haus seit Jahren etablierte, gern-gesehene und bestens integrierte Besuchende. Genauso wie die junge Queer-Gruppe, die sich hier einmal im Monat trifft. Das Haus am Stadtrand kommt vielen Bedürfnisse von Jugendlichen entgegen, diese Flexibilität ist in seine DNA eingeschrieben. Zurzeit ist das Fest zum vierzigsten Geburtstag noch in Planung, sicher ist, dass es am 13. Dezember einen Tag der Offenen Tür geben wird – und am darauffolgenden Freitag ein Fest für die Jungen. Unser Wunsch zum Geburtstag: «`Cent anni – auf weitere hundert Jahre!»

Fussballspiel auf dem Vorplatz des Jugi, bevor der Pavillon aufgebaut wurde.
Der Pavillon am Eröffnungstag – lang ersehnte Vergrösserung des Angebots. 

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Bei JuAr Basel die Ausbildung gemacht – und heute…?

Alain Schnetz, Geschäftsleiter Musikbüro Basel

JuAr Basel ist auch ein Ausbildungsort. Die solide und tiefgehende Praxiserfahrung, die unsere Organisation Praktikanten*innen, Studierenden, Lernenden ermöglichen kann, stösst schon seit langer Zeit auf rege Nachfrage. (Es ist vor diesem Hintergrund kein Wunder, dass Schulen und Hochschulen aus dem In- und Ausland unsere Betriebe gerne besichtigen und sich dabei unsere Organisation, deren Menschenbild und Methoden vorstellen lassen. Aber dies ist wieder eine andere Ebene). Die Liste der Leute, die bei der JuAr Basel/BFA eine Ausbildung absolviert haben, ist lang. Dieser Text ist Teil einer Serie, die unseren Newsletter für einige Zeit begleiten soll. Was machen Menschen, die bei uns ausgebildet wurden, heute?

«Sie haben mich machen lassen!»
Alain Schnetz, Geschäftsleiter Musikbüro Basel

Wir sitzen vor dem Musikbüro, am Stadtrand, im tiefsten Gundeli. Die Sonne scheint an diesem Morgen nicht mehr mit der vollen Kraft des Sommers, aber sie scheint kräftig genug auf unseren Kaffeetisch. Seit fast einer Stunde diskutieren wir über Vereinspolitik, Führung in unserer Zeit und natürlich die Jugendarbeit. Da umreisst Alain Schnetz plötzlich in einigen Sätzen, was gelebte Offene Jugendarbeit sein kann: «Ein Teil der physischen Identität des PurplePark ist ja die Skate-Anlage vor dem Haus. Das Grundkonzept des Hauses sagt, dass die Jugendlichen diese Anlage selber bauen und warten. Wenn du das jemandem erzählst, dann zuckt der möglicherweise mit den Schultern und sagt: «Ja, klar». Selber bauen? Das ist leicht gesagt. Die bauen das also selber, im Alltag, auf dem harten Boden der Realität, mit allem Umtrieb, den so ein Bau mit sich bringt. Die Versuchung für ein Team, hier einzugreifen, vor allem, wenn im Team beachtliche handwerkliche Fähigkeiten vorhanden sind, ist bei so einem Prozess immer wieder gross – wenn es nicht vorwärts geht, wenn Quatsch gemacht wird. Aber das Konzept verlangt eben, genau das auszuhalten. Als die Minirampe gebaut wurde, ist sie beim ersten Versuch in sich zusammengefallen. Jetzt steht sie solide vor dem Haus. Scheitern ist Teil der Erfahrung. Sachen ermöglichen, Jugendliche ermächtigen und machen lassen, wenn Jugendarbeit unter solchen Gesichtspunkten gelebt wird, dann ist sie nicht einfach ein Konsumangebot, sondern echte Mitgestaltung. Das ist ein riesiger Unterschied. Das wirkt sich auch sofort auf das Verhalten der Jugendlichen im Haus aus, sie tragen Sorge zu ihrem Ort, Verteidigen die Regeln des Ortes und entwickeln eine starke Identifikation.»

Wenn der Wechsel Sinn macht

Aushalten, was man sich konzeptionell eingebrockt hat, dabei taktisch flexibel und kreativ bleiben, das sind Elemente, die im Gespräch mit Alain Schnetz immer wieder auftauchen. Heute leitet er das Musikbüro Basel. Kürzlich wechselte diese Institutionen ihren Namen. Lange Jahre war sie als Erreffvau, als RFV, als Rockförderverein ein Fixstern am Basler Kulturhimmel gewesen. So ein Namenswechsel ist nicht einfach auszuhalten, das wissen wir bei JuAr Basel nur allzu gut, waren wir doch einst als Basler Freizeitaktion bekannt, er ruft unweigerlich Proteste von Leuten auf den Plan, die einer Institution eigentlich verbunden sind. Für Schnetz macht der Wechsel Sinn, also hält er ihn aus und schaut in die Zukunft.

«Mal schauen, was da ist…»

Fast fünf Jahre hat er im PurplePark gearbeitet, während seines ganzen Studiums an der HSLU in Luzern – und danach noch für eine Übergangszeit. Er hat als Vorstandsmitglied des Vereins «Junge Kultur Basel» geamtet, in einer Phase als JuAr Basel das Sommercasino – nicht ohne Zähneknirschen – an genau diesen Verein abgeben musste. Auch keine einfache Position für Schnetz. Danach hat er als Präsident des Jugendkulturfestivals gewirkt. Auch dort agierte er als Teil einer Erneuerungsbewegung: «Früher hatte dieses Festival starke kuratierte Elemente, von Erwachsenen geschaffen und geplant. Ich sage nicht, dass dies schlecht war, womöglich war es notwendig, um den Anlass zu etablieren. Aber wir wollten ein neues Kapitel schreiben.» Also wurde die Organisation des Anlasses analysiert, überdacht, überarbeitet, neu aufgesetzt. Schnetz begrüsst es immer, wenn frisches Blut in ein Angebot kommt, er will auch selber nirgends Rost ansetzen. Trotzdem ist er kein Mann der harten Brüche. Er respektiert gute Grundlagen, die er vorfindet, hat aber das Jetzt und die Zukunft vor Augen. Alain: «Du musst sehen, das heutige Musikbüro Basel stand 17 Jahr lang unter der gleichen Leitung. Als ich die Nachfolge von Tobit Schäfer angetreten habe, stand er mir natürlich weiterhin für Fragen zur Verfügung. Aber als ich dann ins Büro kam, musste ich trotzdem ganz banal den Computer anschalten und dachte: Mal schauen, was da ist…»

«Learnin by doing»

Neugier, Lernbereitschaft und eine Nase für die Erfordernisse der Zeit, eine Entwicklermentalität mit weiter Perspektive, die darauf baut, dass das Leben letztlich immer Entwicklung ist, dazu kommt konsequentes Umsetzen von beschlossenen Massnahmen, das sind Haltungen, die Alain Schnetz im Gespräch preisgibt. Er sagt, dass er wohl nicht alle Bücher gelesen habe, die er hätte lesen sollen, doch seine Stärke sei «learning by doing». (Und dann, das vermute ich, liest er alles). Im PurplePark habe er die Realität der Offenen Jugendarbeit kennengelernt und eine starke Praxisanleitung durch Silvan Piccolo erfahren. Alain Schnetz weiss, dass Jugendarbeit zunächst authentisch und direkt in den Lebensrealitäten der Jugendlichen stationiert sein muss, um dann auch Werte und die Auseinandersetzung mit wichtigen Lebensthemen vermitteln zu können. Doch bei der Authentizität fängt es an, darauf folgen Aushalten und scharfes Beobachten, Schlüsse ziehen und angemessenes Reagieren. Alain: «Das Wichtigste Element meiner Praxisausbildung im PurplePark war (Schnetz schmunzelt), sie haben mich machen lassen, ich konnte Projekte realisieren, das Angebot aktiv mitgestalten, natürlich hat mir das Team Widerstände entgegengesetzt, natürlich musste ich gut argumentieren, aber: Sie haben mich machen lassen!»

«In jedem Team eine faule Person»

Er empfiehlt mir einen Podcast von Thomas Hansueli Zurbuchen, der zwischen 2016 und 2022 Wissenschaftsdirektor der NASA war. Einem Bauernsohn aus einer frommen Familie, der gleichzeitig wissenschaftlicher Mastermind und bodenständiger Schweizer ist. Diese Bodenständigkeit habe er, so Alain, in die höchsten Sphären der Weltraumforschung mitgenommen: «Er sagt zum Beispiel, dass man in jedem Team eine faule Person brauche, denn die faule Person würde den anderen exemplarisch Teammitgliedern aufzeigen, was Effizienz ist. Das klingt wie so ein Kühlschrankspruch, aber zieh das mal im Alltag konsequent durch…» Wir sind gespannt auf die Zukunft des Basler Musikbüros!

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