Newsletter Winter 2023 – Charity-Anlass im PurplePark – Das Weltgeschehen, die Jugend und heisse politische Eisen

Die Anregung ist von den Jugendlichen gekommen, die den Tanzraum des Jugendzentrums PurplePark von JuAr Basel benutzen. Sie managen ihren Raum und ihre Termine selber, sind überaus engagiert und in der Tanzszene hervorragend vernetzt. Tanz ist eine internationale Sprache ohne Worte.Die Leute, die hier im Gundeli, neben dem Südkopf des Bahnhofs SBB, tanzen, kommen aus allen Himmelsrichtungen unserer Welt, haben auch rund um den Globus freundschaftliche Verbindungen zu anderen Tanzenden, welche teilweise auch Wurzeln in Israel oder Palästina haben oder sich stark mit diesem Konflikt auseinandersetzen. Die schrecklichen Geschehnisse in dieser krisengeschüttelten Weltregion beschäftigten die Gruppe verständlicherweise sehr. Also redeten sie mit dem Team des Hauses – alsbald wurde eine Veranstaltung zum heiklen Thema auf die Beine gestellt.

Den Dialog unter Andersdenkenden fördern

Elsbeth Meier, Co-Geschäftsleiterinvon JuAr Basel, über den Einfluss des Weltgeschehens auf die jungen Menschen, die unsere Angebote besuchen, und unseren Umgang damit: «Die freie Meinungsäusserung, der demokratische und respektvolle Umgang mit Menschen, die eine andere Meinung haben sowie differenzierte Meinungsbildung gehören zu den Grundwerten der Offenen Jugendarbeit, die in unseren Jugendzentren aktiv gelebt werden. Eine andere Tatsache ist, dass viele der Jugendlichen, die unsere Angebote nutzen, einen arabischen kulturellen Hintergrund haben. Die meisten von ihnen informieren sich auf dem Internet und in sozialen Medien., Mit Material über die aktuelle Nahostkrise wurden und werden sie regelrecht überschwemmt, teilweise mit enorm tendenziösem Material und extrem brutalen Bildern. Sie fragen sich: Welche Information ist vertrauenswürdig? Gleichzeitig solidarisieren sie sich mit ihren Landsleuten, ein natürlicher Reflex. Die Angebote von JuAr Basel sind inklusiv und niederschwellig, sie nehmen alle Jugendlichen auf und interessieren sich aktiv für deren Anliegen. Gleichzeitig gelten bei uns klare Regeln, wir fördern den Dialog unter Andersdenkenden, bei uns entstehen Empathie und Toleranz unter jungen Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten, weil sie einander zwanglos kennenlernen. Dafür war die Charity-Veranstaltung des PurplePark ein Musterbeispiel.»

Beide Positionen und deren Hintergründe erklären

Sabrina Fleury, Leiterin des PurplePark über die Charity Veranstaltung und die Geschichte dahinter: «Die Jugendlichen, die wegen dem Israel-Palästina-Thema auf uns zukamen, stammen alle aus der kreativen Szene. Einige von ihnen haben bei uns auch schon Musik- und Tanzveranstaltungen aufgezogen, die sehr gut abgelaufen sind. Ihr Anliegen war es, Geld für eine politisch und konfessionell unabhängige Organisation zu sammeln, die Kinder und Jugendliche aus dem umkämpften Gaza-Streifen bringt. Es gibt Jugendliche, die unser Jugendzentrum besuchen, welche in ihrer Biografie Berührungspunkte mit Flucht oder Krieg erlebt haben. Jedenfalls machten wir der Gruppe klar, dass unser Jugi politisch unabhängig ist, dass wir, wenn es um Konflikte geht, beide Positionen und deren Hintergründe erklären und ausleuchten wollen, dass wir – und das ist das zentrale Element – für die Menschenrechte einstehen. Und dies alles sollte am 17. November, dem Datum des Events, spürbar werden.»

Heikler Ausrutscher

So war es dann auch, doch zuvor mussten die jungen Veranstaltenden noch einen heiklen Ausrutscher überstehen, der die Geschäftsführung und den Vorstand von JuAr Basel sowie eine lokale Zeitung auf den Plan rief. Ein Flyer-Entwurf für ein Save-the-date-Post, auf dem die Parole «Free Palestine» stand war – über Social Media – an die Öffentlichkeit geraten.Der Entwurf wurde ohne Sabrinas Wissen veröffentlicht, weshalb sie erst über eine digitale Plattform davon erfuhr. Per Mail und Telefon gab es deswegen vor dem Event Diskussionen zwischen Geschäftsleitung und Vorstand, weil das Thema tatsächlich heikel war (und bleibt). Die Meinung, die sich am Ende herauskristallisierte, nachdem alle das Programm sowie das Sicherheits- und Betreuungskonzept gesehen hatte, war folgende: Die Veröffentlichung des Entwurfs war ein bedauerlicher Ausrutscher, diese Botschaft können und wollen wir keinesfalls verbreiten, doch das Team hat die Lage im Griff, das Thema ist wichtig, JuAr Basel baut Diskussionsplattformen und -foren, bei denen Regeln des Anstands gelten, und bleibt politisch neutral. Unsere Ziele sind Aufklärung, sozialer Brückenbau und die Vermittlung differenzierter Sichtweisen. Die Auseinandersetzung mit dem Ausrutscher, dessen Wirkung sie sehr betroffen machte, war für die Veranstaltenden ein weiterer Lernprozess.

«Nobody is free until everybody is free»

Es wurde also ein neuer Flyer gestaltet – und die Veranstaltung konnte über die Bühne gehen. Für den späten Nachmittag/Abend wurde ein Awareness-Team auf die Beine gestellt. Alle Gäste der Veranstaltung wurden bei der Begrüssung darauf aufmerksam gemacht an wen sie sich bei unangebrachten Geschehnissen wenden können und wurden darüber informiert in welchem Rahmen der Event stattfindet. Eine Gruppe von jungen Leuten Flinta-Personen war für das Sounddesign des Abends verantwortlich, also Leute, die sich als «Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans oder agender Personen» bezeichnen – einer Bevölkerungsgruppe, die von religiösen und politischen radikalen Gruppierungen vieler Couleur nicht akzeptiert wird. Auch das ist ein subtiler Hinweis auf den Inklusiven Charakter der bei JuAr Basel gelebt wird. Auf Stellwänden wurden die Lebensrealitäten beider Konfliktparteien auf Bodenebene dargestellt, als Zeugnis für die fatalen Auswirkungen, die bewaffnete Auseinandersetzungen auf Leute wie Dich und mich hat, auf Alltagsleute. Es gab einen Flohmi, das junge Organisationsteam hatte allerlei feines Essen gekocht, das für den guten Zweck verkauft wurde, T-Shirts wurden bedruckt, mit dem Slogan: «Nobody is free until everybody is free». Alle Einnahmen flossen in den Spendentopf, 1632 Franken kamen am Ende zusammen. Ein erfolgreicher Anlass, der bei bester Stimmung über die Bühne ging.

Jener kurze, bange Moment

Im Verlaufe des Abends gab es nur einen Vorfall, bei dem das Awerness-Team einschreiten musste. Vier junge Erwachsene kamen ins Jugendzentrum und wollten ein Plakat aufhängen, auf welchem provokative Pro-Palästina-Aussagen standen. Sie kritisierten das Team des Jugendzentrums, es würden hier ja falsche Auffassungen verbreitet. Nach einer Diskussion konnten die jungen Erwachsenen zum Verlassen des Hauses bewegt werden. Die 150 Leute am Charity-Anlass liessen sich die guten Vibes von diesem Vorfall jedenfalls nicht verderben.

Danke, liebe Azura Silberschmidt

Azura hat uns ihre grossartige Fotodokumentation des Anlasses kostenlos zur Verfügung gestellt. Sie hat sich zu diesem Projekt viele Gedanken gemacht und einen kurzen Text dazu verfasst, den wir Ihnen nicht vorenthalten wollen:

«Ich bin besorgt über die Art und Weise, wie wir uns gegenseitig behandeln, und über die Auswirkungen, die diese Ungerechtigkeiten haben. Ich arbeite mit der Fotografie als einem Raum, in dem Geschichten zu sehen sind, so dass die Fotografierten Teil des Entscheidungsprozesses werden können, wie die Erzählung gewoben wird. Infolge des digitalen Zeitalters, in dem wir leben, treten die Folgen politischer Spannungen und Ungerechtigkeiten, die das tägliche Leben der Menschen beeinflussen, immer deutlicher zutage. Viele fühlen sich verpflichtet, sich für die Menschen und die natürliche Umwelt einzusetzen, die von diesen Ungerechtigkeiten direkt betroffen sind. Es wird zu wenig über den Weg gesprochen, wie diese Situationen visuell dokumentiert, veröffentlicht und archiviert werden, und über die Erzählungen, die dem Betrachter aufgezwungen werden, je nachdem, wer hinter der Erstellung der Bilder steht. Ich habe mich gefragt, wie die Reportagefotografie in Zukunft aussehen wird oder könnte. Der Auftraggeber:innen einer öffentlichen Veranstaltung möchten in der Regel, dass die Veranstaltung so aussieht, als wäre sie gut besucht gewesen, als hätten sich die Leute amüsiert und als sei die Veranstaltung ein „grosser Erfolg“ gewesen. Meine bisherige Erfahrung hat gezeigt, dass das Publikum oft nicht auf dem Foto sein will – Sie wollen einfach bei der Veranstaltung dabei sein. Die Erfüllung der Anforderungen der zahlenden Kunden und die Achtung der Bedürfnisse der Öffentlichkeit stehen in einem ständigen Konflikt. Mit verschiedenen Techniken suche ich nach Möglichkeiten, die Identität der abgebildeten Personen zu schützen. Für diese Fotos, die ich im Jugendzentrum aufgenommen habe, habe ich aktiv mit langen Belichtungszeiten gearbeitet, damit die Bewegung der Person Merkmale abstrahiert, die sie erkennbar machen würden. Für mich ist das eine gut durchdachte und friedliche aktive Massnahme gegen die herrschenden Strukturen.»

Azura Silberschmidt, 2023

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