Newsletter Winter 20/21
Jugendarbeit Basel
in ihrer ganzen Vielfalt

JuAr Basel Winter-Newsletter 2020
Vorwort des Präsidenten

Liebe Leserinnen
Liebe Leser
Liebe Alle
Liebe Freundinnen und Freunde von JuAr Basel
Es ist Adventszeit – und viele Türen sind geschlossen. Auch die Türen der meisten Angebote von JuAr Basel. Keines unserer Jugendzentren ist offen.
Trotzdem kommunizieren unsere Mitarbeitenden mit den Jugendlichen, zumeist mit digitalen Mitteln – oder ganz kleinen Treffen, zu denen man sich anmelden muss, draussen, an einer Feuerschale. Aber in unseren Häusern darf niemand empfangen werden. Auch nicht jenes Mädchen – um nur ein Beispiel zu nennen –, in dessen Elternhaus kein Computer steht, deshalb pflegt sie ihre Hausaufgaben im Jugi zu machen.
Seit dem Lockdown kennen wir diese Dinge, sie haben sich eingespielt.
Aber Christoph Walter von unserer Jugendberatung, die im Moment ebenfalls im virtuellen Raum agiert, hat es einmal schön gesagt, bei Gesprächen am Bildschirm werden viele Zwischentöne nicht transportiert, gerade wenn das Gegenüber Probleme hat. Die gesamte Erscheinung eines Menschen, ein Gutteil seiner Körpersprache fehlen, die virtuelle Begegnung hat weniger Tiefe, weniger Tiefenschärfe als die reale. Das Bedürfnis der Jugendlichen nach realen Begegnungen ist natürlich da. Es machte sich bei unserer Jugendarbeit im Auftrag der GGG Stadtbibliotheken bemerkbar, als alle Jugendhäuser geschlossen wurden, die Bibliotheken jedoch geöffnet blieben, unser Team wurde plötzlich von jungen Nutzer*innen überlaufen…
Ich bin weit davon entfernt, die Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor der Pandemie zu kritisieren, sie müssen sein.
Doch in Zeiten, in denen etwas nicht stattfinden darf, tritt die Qualität der Dinge, die plötzlich fehlen, umso klarer zutage. Und den jungen Nutzer*innen der Angebote von JuAr Basel, viele von ihnen sind ja in jenem (für die Persönlichkeitsentwicklung so wichtigen) rebellischen Alter, in dem man sich an den Eltern und an der Schule reibt, den Vätern, Müttern und Lehrpersonen nur wenig erzählt, fehlt eindeutig jenes wichtige Element, das wir in der Jugendarbeit «Beziehungsarbeit» nennen.
Es gibt Phasen im Leben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, in dem sie allen Autoritätspersonen gegenüber verschlossen sind. In den Angeboten von JuAr Basel öffnen sie sich oft, tauschen sich über ihre Probleme, Sorgen, Nöte, Freuden mit Gleichaltrigen und unseren Mitarbeitenden aus. Diese Orte des Vertrauens, der Entspannung, der niederschwelligen Hilfeleistung, des informellen Lernens, sind nun wieder für einige Zeit ausser Betrieb. Gerade Jugendliche, die aus schwierigen Verhältnissen kommen – und unter unseren Nutzer*innen gibt es davon viele – verlieren einen beträchtlichen Teil ihrer Lebensqualität, wenn die Türen der Jugis verschlossen sind.
Für mich heisst das: Ich kann im Newsletter keine aktuellen Reportagen aus der Offenen Jugendarbeit bringen.
Deshalb schaue ich hier in zwei Artikeln in die Vergangenheit zurück, jene der Jugendarbeit in Kleinhüningen und jene des Umgangs mit Medien, vom Pantoffelkino bis zum Smartphone. Zudem habe ich unsere Finanzchefin Sabine Suter porträtiert, sie hat mir von der Komplexität unserer Administration und Buchhaltung erzählt. Die Geschichte über ein Harry Potter-Projekt mit einer Gruppe Jugendlicher rundet das Ganze ab.
Bleibt mir, Ihnen allen bestmögliche Weihnachtstage zu wünschen – und einen guten Übergang ins 2021, ein Jahr, auf das wir nun alle besonders viele Hoffnungen setzen. Möge der Virus weichen!
Bei all unseren Partnerinnen und Unterstützerinnen, den Geldgebenden, bei den vielen engagierten Jugendlichen, Mitarbeitenden, Mitgliedern und Vorständen von JuAr Basel möchten wir uns zum Jahresende ganz herzlich bedanken. Wir freuen uns auf weitere Begegnungen mit Euch/ Ihnen.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit unserem Weihnachts-Newsletter.
Herzlich
One Love
Christian Platz, Präsident JuAr Basel
Jugendarbeit in Kleinüningen vor 30 Jahren:
Ein Blick zurück mit Waltraud «Waldi» Waibel

Heute ist sie pensioniert und Vize-Präsidentin im Vorstand von JuAr Basel. Jahrzehntelang hat sie in unserer Organisation, die früher bekanntlich BFA hiess, Jugendarbeit gemacht, Projekte für Jugendliche erfunden, Treffpunkte geleitet. Und dies immer im Kleinbasel. Diesen Herbst konnte JuAr Basel endlich wieder ein Jugendzentrum in Kleinhüningen eröffnen, das «Chillout». Im Januar 1987 hat Waldi in diesem Quartier angefangen, im BFA-Jugendtreff Fischerstübli, dem «Fischi».
Von Christian Platz
Das «Fischi» war im Keller eines Altersheims untergebracht, auf der Höhe der Tiefgarage, es gab dort kein Telefon, kein Büro, keinen Rückzugsbereich. Die Liegenschaft gehörte der Evangelisch-Reformierten Kirche Basel-Stadt. Die Räume hatten keine Fenster – es gab zwei Türen, die eine führte direkt in den Gang der Tiefgarage – und nur eine kleine Lüftungsklappe an der Decke. Wer ins Jugi eintrat, kam zunächst in einen kleinen Vorraum, von dem aus es in eine Toilette ging und auch in den Treffraum, der etwa 25 Quadratmeter umfasste.
Dort standen ein Billardtisch und ein Töggelikasten, die einzige Sitzgelegenheit waren Holzbänke, die der Wand entlang angebracht waren, ein paar Stühle und ein Tisch und an einer Seite eine schmale Theke. Zudem gab es noch eine kleine Küche, in der die beliebten «Fischi-Brötli gemacht wurden, mit Schinken, Gurken und Senf, sie waren bei den Nutzerinnen und Nutzern sehr beliebt. Der Treff war zu Öffnungszeiten oft gerammelt voll. Waldi wirkte als Leiterin des Angebots, gleichzeitig war sie dessen einzige feste Mitarbeiterin, ihr zur Seite stand ein Praktikant: «Mein erster Praktikant, er hiess Claude, war ein grosser junger Mann, der Treffraum war so niedrig, dass er fast den Kopf einziehen musste, sonst hätte er womöglich die Decke gestreift», erzählt Waldi lachend.
«Alle haben geraucht…»
«Heute würde es niemals genehmigt, in diesen Räumlichkeiten ein Jugendzentrum einzurichten. Man muss sich das einmal vorstellen, alle haben geraucht wie verrückt, das war damals ja normal. Die Luft hätte man schneiden können. Aber trotzdem konnten wir dort gute Jugendarbeit leisten, konnten tolle Projekte erfinden, mit den Jungen zusammen, ohne grosse Konzeptarbeit im Voraus», sagt die Jugendarbeiterin. «Natürlich hat es auch manchmal Probleme gegeben. Wenn der Praktikant gerade in der Schule war, hatte ich keinerlei Verstärkung. Ich musste in die öffentliche Telefonkabine, um zu telefonieren und den Treff unbeaufsichtigt lassen. Einmal musste ich im Badhüsli St. Johann anrufen, dem BFA Jugendtreff auf der anderen Seite des Rheins – und die haben mir dann jemanden geschickt.»
Die späten 1980er Jahren waren auch in Basel die Ära der Strassengangs, es gab sie in jedem Quartier, auch in der Innerstadt waren sie präsent, gefürchtet – und ein Lieblingsthema der Medien. Es war eine neue Jugendkultur, die damals geformt wurde (und heute die Welt der Popmusik dominiert), in deren Zentrum Rap, HipHop und Black Music standen. Wie schon die Rock-Musik, mit deren Fans und Exponenten sich die neuen Kids nun nicht mehr identifizieren wollten, was durchaus zu handfesten Konflikten auf der Strasse führte, wurden die Grundlagen dieser Bewegung aus den USA importiert.
«White Angels»
Für Waldi bedeutet dies, dass sie auch Gang-Mitglieder im Haus hatte, die Gruppe nannte sich «White Angels». Ihr Erkennungszeichen waren weisse gestrickte Käppchen, die von Müttern und Grossmamas angefertigt wurden. Ihr Ruf war durch mehrere Medienberichte so schlecht, dass sich das Zürcher-Charter des berühmt-berüchtigten weltweiten Motorrad Clubs «Hell`s Angels» beim damaligen Leiter der BFA-Jugendtreffs meldete, mit ihm das Gespräch suchte (und fand, eine Delegation aus Zürich setzte sich im Badhüsli mit Rolf Hartmann an den Tisch). Sie stiessen sich am Namen der Basler Gang – und befürchteten durch dessen negative Presse eine Rufschädigung.
In diesem Gang-Umfeld gab es allerlei Kämpfe, es waren auch Waffen wie Baseballschläger und Nunchakus im Spiel. Waldi hat immer wieder Konflikt-Situationen erlebt, in denen sie mit Gang-Chefs verhandeln musste, um Kämpfe im Jugendhaus zu verhindern, was ihr stets gelungen ist. Sie berichtet: «Die White Angels bestanden anfangs vielleicht aus 30 Jugendlichen, Jungs und Mädchen, mit der Zeit wuchsen sie auf 50 an. Interessant ist, dass sie drei Chefs hatten, damit sich die unterschiedlichen Nationalitätsgruppen auch vertreten fühlten, aber auch demokratische Regeln entwickelten. So wurden Ausschlüsse von Mitgliedern an einer Vollversammlung der Gang bei uns im Treff verhandelt, dabei konnten sich alle zu Wort melden.»
Als Frauen verkleidet
Überhaupt hätten mit der Zeit immer mehr Mädchen im «Fischi» verkehrt: «Die hatten teilweise ganz schön feministische Mütter, mit denen ich im Kontakt stand – und haben sich bei den Jungs selbstbewusst durchgesetzt. Wir haben in Sachen Gender, wie man heute sagt, lustige Sachen gemacht. Zum Beispiel eine Miss-Wahl, das war ganz verrückt. Und zwar haben die Mädchen und ich selber Frauenkleider in den Treff mitgebracht. Dann wurde die Jungs als Mädchen verkleidet und geschminkt, wir haben ihnen natürlich dabei geholfen und alle hatten grossen Spass an der Sache. Der Schönste wurde dann zur Miss gewählt. Erstaunlicherweise haben besonders die Jungs mit grossem Spass mitgemacht. Auch muss ich sagen, dass sich die damaligen Jugendlichen für allerlei Dinge begeistern liessen, die eigentlich jenseits ihrer Interessen lagen. Einmal sind wir ins Museum gegangen, weil an einer Ausstellung der Videofilm von dieser Misswahl-Aktion gezeigt werden sollte. Alle waren rechtzeitig dort. Und als wir in den Sommerferien einmal einen kostengünstigen Ausflug im Angebot hatten – es handelte sich um eine Busfahrt in den Schwarzwald, eigentlich eine billige Werbefahrt für Senioren – sammelten sich auf der Wiesenbrücke am angesagten Einstiegsplatz, eine ansehnliche Gruppe Jungs und Mädels. Die Seniorinnen und Senioren schauten anfangs etwas befremdlich, aber auf der Fahrt hatten alle viel Spass. Für mich waren diese Jugendlichen wie eine grosse Familie, der Zusammenhalt untereinander war enorm. Wenn es darauf ankam haben alle einander geholfen. Da gab es jenen besonderen sozialen Kitt, der heute immer seltener geworden ist. Wahrscheinlich wegen der vielen digitalen Plattformen, auf denen man zwar viele Freunde findet, aber unverbindlicher, virtuell eben, das ist eine ganz andere Form von Kontakt.»
Während der zwei Jahre, die Waldi im «Fischi» wirkte, wurde von der BFA dringend ein neuer Standort für das Angebot gesucht. Als es dann gelang und eine Villa auf dem Areal der alten Stückfärberei bezogen werden konnte, kurz vor dem Jahrzehnte-Wechsel, taten sich die Jugendlichen schwer damit. Sie hatten sich an die kargen Räumlichkeiten gewöhnt, diese waren ihr zweites Zuhause geworden. Zum Schluss nun ein Zeitsprung um mehr als 30 Jahre. Waldi: «Als ich dann im Herbst 2020 an der Eröffnung des neuen Kleinhüninger Treffs der JuAr Basel teilgenommen habe, kamen einige der Jugendlichen von damals vorbei und haben mich freudig begrüsst. Viele von ihnen haben jetzt selber Kinder, einer, jetzt Vater, hat mich gefragt, ob ich nicht mal mit seinem Sohn reden könne.» So ist das mit der Jugendarbeit, sie geht nie zu Ende.
Die Wandlungskräfte der Zeit

Gefährlich für die Fantasie, verrohend, gerade auch in sprachlicher Hinsicht, verdummend, diese Eigenschaften wurden der Flimmerkiste in der guten Stube von Eltern und Lehrern vor 50 Jahren angehängt. Heutzutage haben fast alle Leute den Bildschirm immerzu dabei, drinnen und im Freien, auch die jungen und jüngsten – und damit Zugriff aus fast alle Inhalte, die je geschaffen wurden. Was soll man dazu sagen? Ein Zeitsprung.
Von Christian Platz
Vor einiger Zeit, nach dem spätherbstlichen Besuch eines Jugendzentrums von JuAr Basel, sind mir die Ängste unserer Mütter in den Sinn gekommen. Als ich, in den frühen 1970er Jahren, im Primarschulalter war, galt etwa der Fernsehapparat als Gift für uns Kinder. Meine Primarlehrerin verachtete «den Kasten» zutiefst, sie liess keine Gelegenheit aus, Seitenhiebe gegen Kinder auszuteilen, von denen sie wusste, dass sie oft vor der Glotze sassen. An einem Morgen sagte sie zu einem Mädchen, sie hatte erzählt, dass ihre Familie zuhause die Fasnacht am Bildschirm verfolgt habe: «Wer den Morgestraich im Finkenkino schaut, hat selber Streich verdient.»
Gefährlich für die Fantasie, verrohend, gerade auch in sprachlicher Hinsicht, verdummend, diese Eigenschaften wurden der Kiste in der guten Stube angehängt. In unserem Quartier gab es damals viele Kinder, deren Eltern kein Fernsehgerät im Haus haben wollten, einige verboten ihren Kindern sogar, bei Freunden in den Bildschirm zu schauen. Unsere älteren Cousins und Cousinen, sie hörten Rockmusik und verbrannten Räucherstäbchen in ihren Zimmern, in denen Che Guevara-Poster an der Wand hingen, waren ebenfalls gegen die Flimmerkiste, aus anderen Gründen allerdings. Am Fernsehen laufe, sagten sie laut und klar, nur spiessiger Mist, Bünzlizeugs. Die Kiste setze Lügen und Halbwahrheiten in die Welt, so ihre feste Überzeugung.
Dick&Doof
Von was reden wir? Von drei deutschsprachigen, einem Welschen und einem Tessiner Kanal, das war die Auswahl. Am frühen Nachmittag lief nichts, das uns Kinder hätte interessieren können. Unsere Zeit kam um 17 Uhr, dann liefen Wiki und die starken Männer oder Dick&Doof (letztere fand unsere Primarlehrerin übrigens besonders schlimm, wegen dem Namen, den das Deutsche Fernsehen für die beiden grossen Künstler Laurel & Hardy ausgesucht hatte) – natürlich hatte sie die Sendung nie gesehen, aber sie regte sich unendlich über das Wort «doof» auf, das in ihren Augen kein richtiges Wort war.
Danach kamen die Nachrichten, dann folgte ein Spielfilm, meistens einer aus den 1950er Jahren, der uns meistens nicht besonders interessierte, wenn wir ihn mit den Eltern anschauen durften. Trotzdem haben wir ihn bis zum Ende geschaut. Es kam ja nichts anderes. Schon nur James Bond wäre in jener Zeit am TV undenkbar gewesen, diese Filme galten als besonders gewalttätig und unmoralisch, der Eintritt im Kino war streng reguliert, ab 16 Jahren (heute sind sie ab 12). Unser Sehnsuchtstermin war der Sonntagabend, dann lief Bonanza, eine gemütliche Western-Serie, kein Blut, viel Familienknatsch, circa ein Schuss pro Folge, natürlich sah man den Einschlag der Patrone in den menschlichen Körper nicht, der heute zum Standardrepertoire gehört.
Ameisenkrimi
Und gegen 22.30 war Schluss mit der Herrlichkeit aus der Röhre, dann lief nur noch der Ameisenkrimi. Es hatte in unserem Quartier damals übrigens auch ein Sexkino, dort liefen keine Pornofilme, sondern jene harmlosen, lachhaften, etwas verklemmten Sexfilme jener Zeit, die man nur etwa 15 Jahre später von den – damals neuen – Privatsendern in die gute Stube geliefert bekam. Für uns Kinder galt die Regel, dass wir die Strassenseite wechseln sollten, wenn wir an diesem verruchten Haus mit den schlimmen Plakaten vorbeikommen. Natürlich drückten wir uns an freien Tagen die Nase am Schaufenster dieses Lichtspielhauses platt, bis wir von einer verantwortungsvollen erwachsenen Person vertrieben wurden (das passierte immer).
Wie behütet wir doch waren
Knapp 50 Jahre ist das alles her. Wie behütet wir doch waren. Man hielt die anrüchigen, abgründigen Seiten des Lebens vor uns Kindern verborgen, manche bis zum 16., andere bis zum 18. Geburtstag. Vielleicht haben wir irgendwo einmal ein so genanntes Sex-Heftli gefunden, es neugierig durchgeblättert, uns ein bisschen gegruselt und danach blöde Sprüche gemacht…
Warum muss ich nach dem Besuch eines Jugendzentrums über solche Dinge nachdenken? Wegen den Wandlungskräften der Zeit.
Gegenüberstellung
In gerade mal fünf Jahrzehnten haben sich unsere Welt und unsere Werte dermassen verwandelt, dass wir – wenn wir mental einmal den harten Schnitt machen, die vielen Zwischenstufen beiseitelassen – nur staunen können. Das Tempo dieser Wandlung hat sich ja bereits seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts enorm erhöht, die Revolution der Maschinen, der Technik, der Industrie, der Informationsverbreitung hat den Wandel vorangetrieben, in einer Geschwindigkeit, die es vorher in der Menschheitsgeschichte nicht gab. Heute ist dieses Tempo schwindelerregend geworden Die Menschen der 1970er Jahren hätten sich die Augen gerieben, wenn sie per Zeitmaschine ins Jahr 2020 transportiert worden wären. Wagen wir also eine kleine Gegenüberstellung.
Fernsehen? Das kann man heute nicht mehr so nennen. Fast alle Leute haben den Bildschirm jetzt immerzu dabei, drinnen und im Freien, auch die jungen und jüngsten. Das Programm, welches jederzeit auf den Handy-Bildschirm gerufen werden kann, besteht aus so ziemlich allen kulturellen, subkulturellen und superkommerziellen Inhalten, die es überhaupt gibt. Man kann über dieses Bildschirmchen Kontakte zu fast allen Leuten auf dieser Welt aufnehmen. Man kann praktisch alle Filme abrufen, alle Musikstücke hören, die jemals produziert wurden. Wenn dir ein Film nicht gefällt, kannst du ihn sofort weg-klicken, du musst nichts mehr ertragen, das dir nicht gefällt oder dich langweilt. Scheinheilig fragt das Maschinchen, bevor es eine Porno-Seite freigibt, ob du schon 18 Jahre alt bist, dann musst du nur auf «yes» klicken, eine weitere Kontrolle gibt es nicht, und die ganze Psychopathia Sexualis erscheint auf dem kleinen Bildschirm. Das Sexkino aus den 1970er Jahren wäre von der Polizei geschlossen worden, wenn es diese Inhalte gezeigt hätte. Gewalt? Kaputtes und dummes Zeug? Zugang nach Lust und Laune, à discrétion, grundsätzlich für alle Altersklassen, ausser, wenn die Eltern sich auskennen und mit technischen Schranken eingreifen – aber es gibt immer noch die anderen Kinder im Umfeld, deren Eltern dies nicht tun (können).
Altersfreigabe
Gleichzeitig haben wir – auf dem Papier – immer noch einen differenzierten Jugendschutz, auf jeder DVD im Warenhaus prangt eine Altersfreigabe, aber die Jugendlichen interessieren sich nicht mehr für DVDs – und natürlich ist Porno immer noch ab 18. Aber was nützen die Bestimmungen? Die digitale Welt ist so schnell explodiert, die rechtlichen Vorgaben existieren nur noch auf dem Papier. Das betrifft ja auch unzählige Kunstschaffende, deren Werke einfach so gratis auf dem Internet zu konsumieren sind, der Urheberschutz ist zu einer Lachnummer geworden. Auch wenn es ein bisschen illegal ist, in der Realität kann man alles herunterladen – und dafür braucht man wenig technisches Wissen. Wir können die Kinder und Jugendlichen fast nicht mehr vor den anrüchigen, abgründigen Seiten des Lebens beschützen. Das Internet macht uns dabei gewiss den einen oder anderen Strich durch die Rechnung. Und wir alle haben das einfach so geschehen lassen. Nun müssen wir mit den geschaffenen Tatsachen leben, im Guten wie im Schlechten. Aber wir Erwachsenen haben eigentlich die Pflicht, uns zu informieren, Inhalte zu bewerten, gegebenenfalls einzuschreiten, wie es unsere Eltern einst getan haben, auch wenn das immer schwieriger und komplexer wird.
An einem Joint kann man nicht sterben…
Als ich etwa 15 Jahre alt war, hat mir ein älterer Kollege einmal gesagt, dass niemand an einem Joint sterben könne. Recht hatte er. Recht behalten hat er nicht. Heute ist, auch in Basel, Marihuana und Hasch im illegalen Handel, das mit chemischen Cannabinoiden versetzt ist, die massive Rauschzustände auslösen, die krank machen und sogar töten können. Wieder ein Produkt des menschlichen Erfindungsgeistes, über das wir einfach keine Kontrolle haben, vor dem nur Vernunft, Urteilsvermögen und Eigenverantwortung schützen können, noch etwas, vor dem wir unsere Kinder und Jugendlichen schützen müssen. Ja, hört denn das nie auf?!
Was das alles wohl mit den Kindern und Jugendlichen macht? Wir können es nur vermuten. Aber wir müssen sie begleiten, nach bestem Wissen und Gewissen, wir sind dazu verpflichtet, ihnen die Welt zu erklären, ihnen Perspektiven zu vermitteln – und ich meine damit nicht berufliche Perspektiven, sondern jene ganz grundsätzlichen, jene, mit denen wir uns in der Welt, im Leben (einigermassen) zurechtfinden können. Dabei spielen natürlich die Eltern die ganz zentrale Rolle. JuAr Basel hilft ihnen dabei, seit 78 Jahren.
Die Zahlen erzählen Geschichten, von Menschen, von Schicksalen, vom Leben

Wenn sie als kleines Mädchen gefragt wurde, welchen Beruf sie einmal ergreifen möchte, dann hat Sabine immer die gleiche Antwort gegeben: «Buchhalter», in den 1970er Jahren hat man die weibliche Form halt noch nicht so selbstverständlich hinzugefügt wie heute. Heute arbeitet sie – nun schon seit mehr als einem Jahr – als Finanzchefin von JuAr Basel, in unserer Zentrale im Basler Waisenhaus. Auf diesem Posten hat sie unser Urgestein Alain Baumann ersetzt, nachdem er pensioniert wurde, der ein ganzes Arbeitsleben lang bei der BFA/JuAr Basel wirkte. Aus der Sicht der Finanzfachfrau ist unsere Organisation ein ausserordentlich komplexes Gebilde – und es ist ihr anzumerken, dass sie derartige Komplexität durchaus reizvoll findet.
Von Christian Platz
Sabine Suters Büro hat eine wunderbare Aussicht auf den Rhein, mit einem kleinen Seitenblick kann sie ihre Blicke jederzeit vom Computerbildschirm auf den Fluss und auf das Grossbasel wenden, auf das reale Leben eben. Vom Computerbildschirm, der für fast alle Menschen das Fenster in die Arbeitswelt geworden ist – und für Finanzleute sowieso. Als ihr Vorgänger, Alain Baumann, einst zur BFA gekommen ist, gab es noch lange keinen Computer auf seinem Arbeitstisch, in seine Welt ist die EDV hineingebrochen, wie viele Menschen aus seiner Generation musste er sich zunächst daran gewöhnen.
Sabine Suter steht gerade inmitten eines umfassenden Prozesses, der mit einem Computerprogramm zu tun hat. Die JuAr Basel stellt zurzeit nämlich ihr ganzes Finanz-und Lohnwesen auf Abacus um, ein modernes Programm, Sabine ist es dabei sehr wohl, sie lacht und sagt: «Ich freue mich extrem über diese Erneuerung, wir haben mit Abacus jetzt einen guten Mittelklassewagen. Vorher verfügten wir bloss über einen Fiat Panda. Wir bekommen nun ein Programm für Buchhaltung, Lohnbuchhaltung und Archivierung, alle Belege können digitalisiert und verarbeitet werden. Wir sind unterwegs in Richtung papierloses Büro». Um diese Entwicklung in den Griff zu bekommen, hat Sabine eine spezifische Ausbildung absolviert, in der es um die Spezialisierung von Finanzchef*innen auf Digitalisierung ging.
Das soziale Feld
Sabine Suters Vater war kaufmännischer Leiter einer Firma, sie, die schon in ihrer Kindheit von Zahlen fasziniert war, trat in seine Fusstapfen – bereits im Alter von 25 Jahren war sie Finanzchefin eines Produktionsbetriebs. Später stieg sie in die Politik ein, schaffte es, in den Grossen Rat gewählt zu werden, für die SP – und wechselte beruflich aufs soziale Feld. Von 2002 bis 2013 war sie Parteisekretärin der SP, Ressort Finanzen und Infrastruktur, dann wechselte sie zur Spitex Riehen-Bettingen, zunächst war sie dort für Finanzen und Administration zuständig, ab 2016 wurde sie zudem Co-Geschäftsleiterin. Und dann kam sie ins Waisenhaus, zur JuAr Basel.
«Ich habe mich einmal entschieden, kein Rechnungswesen zu führen ohne Lohnbuchhaltung. Das war auch bei der SP der Fall. Das Leben in einer Organisation bildet sich in den Zahlen ab, Trennungen, Scheidungen, Unfälle, Geburten, Erkrankungen. Wenn ich alle Infos habe, kann ich den Mitarbeitenden oft helfen, kann sie auf Probleme aufmerksam machen. Den Leuten ist die Bedeutung der Zahlen und deren Folgen für ihr Alltagsleben oft gar nicht bewusst, wenn es etwa um Steuern und Gebühren geht, da kann ich häufig für Klarheit sorgen, das ist mir wichtig», so Sabine, dann fügt sie noch hinzu: «Ich lote bei meiner Arbeit auch gerne die soziale Seite einer Organisation aus. Dabei interessiert mich die Frage: was ist für die Mitarbeitenden möglich, wie ist es um die Gerechtigkeit bestellt? Wenn es möglich ist, kann ich die Lage der Menschen, die in einem Betrieb arbeiten, verbessern, indem ich kleine Sachen bewege», führt Sabine aus.
Hohe Konzentration
Wie betrachtet die Fachfrau unsere Organisation durch die Finanzbrille? Sabine: «JuAr Basel ist ein sehr komplexes Konstrukt, das sehr viele Spezialitäten und Eigenarten aufweist. Dies hängt natürlich mit unseren vielen Aussenstellen zusammen, die alle ihren eigenen Charakter haben, auch mit den Praktikantinnen und Praktikanten, die jedes Jahr wechseln. Dazu kommt der Umstand, dass die Kostenstellen- und Kostenträger-Abrechnungen, wie sie heute von unseren staatlichen Partnern verlangt werden, hochgradig komplex sind, diese zu erstellen erfordert hohe Konzentration. In diesen Bereich versuche ich unsere Fachstellenleiter*innen immer stärker einzubeziehen. 2020 war – wegen dem Virus – teilweise der Horror, die Geschichte mit der Kurzarbeit bedeutete einen enormen Aufwand. Bis heute haben wir in dieser Angelegenheit noch keine definitiven Abrechnungen erhalten».
Vor diesem Hintergrund sei sie sehr froh um ihr Team, es besteht aus Elke Deiss und Oliver Falk, das ihr enorm helfen würde, die Arbeitslast zu tragen. Dankbar sei sie auch, dass mit Kandid Ganter ein enorm gewiefter, erfahrener Treuhänder im Vorstand von JuAr Basel sitze, mit dem sie sich immer austauschen könne, der immer offen für fachliche Fragen sei – und immer wieder erstaunliche Wege und Auswege in kniffligen Situationen finde.
Harry Potter Night:
Wenn die Bibliothek zu Hogwarts mutiert

Am 17. Oktober ging in der GGG Stadtbibliothek die grosse Harry Potter-Nacht über die Bühne. Der Jugendarbeiter Simon Zimmermann, der als Mitarbeiter von JuAr Basel in den Bibliotheken der GGG wirkt, hat das Projekt angerissen, mit einer Gruppe von zwölf Jugendlichen zusammen. Wäre die Pandemie nicht dazwischengekommen, hätten wohl noch viel mehr Jugendliche an der Veranstaltung teilgenommen. Aber auch so waren es noch gut 90, die einen wunderbaren Abend erlebten.
Von Christian Platz
Harry Potter ist schon längst zu einer Marke geworden, der Zauberlehrling, erfunden von der Autorin J.K. Rowling, hat nun schon drei Generationen Jugendlicher fasziniert, seit 25 Jahren ist die Figur in Romanen und Filmen unterwegs. Die Jugendkulturen habe sich in dieser Zeit gewandelt, doch die Geschichten um die Zauberschule sind eine Konstante geblieben, ein moderner Klassiker. Im Frühling 2020 hat sich der Jugendarbeiter Simon Zimmerman von JuAr Basel, er wirkt für uns in den GGG Stadtbibliotheken, gedacht, dass dieses Zauberer-Universum eine gute Grundlage für ein Projekt sei, ein typisches Projekt der Offenen Jugendarbeit, bei dem er einen Rahmen schaffen könne, den Jugendliche mit ihren Ideen und ihrer Kreativität füllen können. Und so war es am Ende auch. Doch der Weg bis zur Veranstaltung war zunächst steinig.
Kaum war die erste Gruppe gebildet, kam der Lockdown dazwischen, da ist die Sache erst einmal auseinandergeflogen, nur zwei der Jugendlichen sind dabeigeblieben. Doch Simon gab nicht auf und fand eine neue Gruppe, sechs Girls, sechs Jungs, im Alter zwischen 12 und 15 Jahren.
Zuverlässigkeit
Es gibt ja Jugendliche, die totale Harry Potter Expert*innen sind, ein Teil von ihnen schreibt die Zauber-Geschichten auf dem Internet weiter und kennt jeden Stein in den Mauern der magischen Schule beim Namen. Simon Zimmermann: «Von dieser Sorte hatten wir nur zwei oder drei in der Gruppe, die anderen kennen das Potter-Universum zwar, aber sie sind keine Nerds. Erstaunlich war bei diesem Team die Zuverlässigkeit, alle sind zu jeder Besprechung erschienen, alle haben mitgemacht, bei der Planung, der Umsetzung, den Vorbereitungen und der Durchführung». Das war natürlich eine feine Sache, zumal Simon die ganze Kiste erstmals allein, ohne weitere Begleitung aus der Jugendarbeit, aufgebaut hat. Die Gruppenmitglieder sind aus mehreren Basler Quartieren und aus allen Bildungsschichten gekommen, es war nicht etwa einfach ein Freundeskreis, der sich schon vorher kannte.
Zuerst mussten sie sich darüber klar werden, in welcher Form die Sache ablaufen sollte. Bald stellte sich heraus, dass man einen Postenlauf gestalten wollte, garniert mit Aufgaben, die das Thema reflektieren sollten, dazu solle es eine Bar mit Getränken (ebenfalls Zaubertränken natürlich) und Verpflegung geben.
Ressorts
An diesem Punkt wurden Ressorts geschaffen, die sich um die einzelnen Bereiche der Veranstaltung kümmerten. Auch hier arbeiteten alle fleissig und mit grosser Zuverlässigkeit. Zehn Stationen mit verschiedenen Sujets entstanden so, da wurden Rätsel gelöst, Kostüme anprobiert und prämiert, Zauberstäbe gebastelt und vieles mehr. Zudem wurden zwei Harry Potter-Filme gezeigt, von Fans gedreht – die auf YouTube beinahe so gut laufen, wie die offiziellen Potter-Beiträge. In der riesigen und unvergleichlich preisgünstigen Fundgrube des «OffCut»-Ladens am Dreispitz wurde das Material eingekauft. Als die Veranstaltung beworben wurde – wer dabei sein wollte, musste sich anmelden –, kam sogleich ein Schub Anmeldungen. Da sagte Simon zum Team, welches ihn bei der Durchführung unterstützte: «Jetzt müssen wir uns aber ins Zeug legen – und wir müssen uns überlegen, wieviele Besucherinnen wir überhaupt reinlassen können, damit die Sache sicher bleibt und die Leute vor Corona geschützt sind». Die Harry Potter Night dauerte dann von 19 Uhr bis 22 Uhr. Doch Simon und sein zwölfköpfiges Team waren schon viele Stunden früher im Haus, einen Nachmittag lang machten sie die Stadtbibliothek zur Kreativwerkstatt, da wurde gemalt, gebastelt, ausgelegt. Das sei natürlich, so Simon, auch vielen Bibliothek-Besucherinnen aufgefallen, die dann mit den Jugendlichen ins Gespräch kamen: «Einige wollten gleich ihre eigenen Kinder für den Abend anmelden».
Es wurde eine gloriose Nacht. Simon: «Ohne Corona hätten wir wohl hunderte von Leuten anziehen können, aber es war, wenn man die Umstände dieses Jahrs in Betracht zieht, ein grosser Erfolg, dass die Sache überhaupt zustande gekommen ist.» An diesen Erfolg will er nun anschliessen, die Gruppe hat sich nach dem Anlass wieder getroffen und sich für das nächste Thema entschieden: Superhelden. Das Ziel von Simon Zimmermann ist es, die GGG Stadtbibliotheken als Veranstaltungsort auch für Jugendliche populär zu machen. Ein Grundstein dafür wurde nun gelegt.